Sonntag, 6. März 2016

Halt dich an deiner Liebe fest

Ich habe heute Mittag kurz geschlafen und als ich aufwachte, war ich noch voll ''druff'' und dachte, dass ich mal ein bisschen spazieren gehe und nicht nur depressiv in meinem unordentlichen Zimmer herumhänge.

Ich möchte die Warschauer Straße überqueren und da sehe ich eine Frau mitten auf der Straße zusammenbrechen. Ein Mann kommt ihr zur Hilfe und hält die Autos an und trägt sie zum Bordstein.

Ein weiterer Passant kommt zur Hilfe. Es komen noch zwei Engländer dazu. Ein nettes Mädchen und ein Junge. Ich rufe 112. Ich bin natürlich viel zu verwirrt, um den Mann am Telefon zu erklären, wo wir genau sind, aber ich bekomm's dann doch noch hin nach mehreren Versuchen (wenn das doch nur mit der Schule auch so geklappt hätte). Der Notdienst-Mann muss mich aber mehrere Male mit ''gute Frau'' rügen und sagt immer: ''Veganes Restaurant? Gute Frau, das nützt mir nicht viel. Ich brauche die genaue Adresse.'' und ''In der Nähe der S-Bahn? Gute Frau, das bringt mir nicht viel.'' Ich bekomme es dann aber hin. weil selbst ein verwirrter Loser mal was hinbekommt.

Ich gehe zu der Frau zurück, die auf dem Borstein liegt. Ein junger Mann Mitte, Ende 20 oder so hält ihre Füße hoch.
Ihr Retter, der sie von der Straße getragen hat, ist weg. Das war ein Mann mit ''südländsichem Aussehen'', Türke, Araber oder so. Das ist natürlich keine deutsche Kartoffel, die sich das Bundesverdienstkreuz oder so verleihen lässt. Nein, der geht einfach weg. ''Ja, hab mal nebenbei diese Frau gerettet, aber ich habe keine Zeit, ich muss weg'' oder er denkt sich, dass die Polizei gleich anrückt und er mag die Polizei nicht oder so. Dieser Mann ist so cool. Rettet nonchalant die Frau und geht. (Deutsche Kartoffeln, bitte rettet Menschen und ich freue mich, wenn ihr ein Bundesverdienstkreuz bekommt).

Die Frau auf dem Borstein hat ein Pflaster über der Augenbraue. Sie ist bei Bewusstsein, aber schwach.

Der Mann, der ihr die Füße hochhält, sagt zu den Engländern und mir auf Englisch, dass sie sicher zu viel Party gemacht hat und das eben Berlin sei.
''Die hat keine Party gemacht.'', sage ich.

Ich denke mir erst später, dass vielleicht nicht jeder so eine Sozialisation ''genießen'' konnte, dass man einen Partygänger und jemanden, dem es psychisch nicht gut geht oder der obdachlos oder ohne festen Wohnsitz, bestens unterscheiden kann. Die Frau trägt nicht mal Make-up und hat bequeme Kleidung an. Bei was für einer Party soll die gewesen sein? Berghain oder was? Watergate? Mit italienischen Touristen flirten? Ausgelassen tanzen? Überteuerte Cocktails trinken? Bei Facebook ein Selfie posten? Mit dem wahnsinnig süßen Typ knutschen? Natürlich nicht.

Der Mann siezt die Frau. Er meint es wirklich gut und ich rechne ihm das hoch an und ich möchte ihn nicht kritisieren, aber ich duze sie natürlich. Ich sage ihr, dass Hilfe kommt und dass sie sich ''ausruhen'' soll.

Ich rede tatsächlich mit der Engländerin darüber, dass ich mich in einem Club blamiert habe und noch auf Drogen bin und über Clubs in Berlin und dann sage ich, dass das vielleicht kein gutes Gesprächsthema ist, wenn da jemand am Boden liegt. Ich stehe zwar auf der Leitung, aber das merke ich dann selbst.

Der Notarztwagen kommt mit Sirenen und Blaulicht. Die zwei Sanitäter sind nett und herzlich. Sie wollen sie in den Notarztwagen bringen. Die Frau wird in einen Rollstuhl gesetzt. Sie fängt an zu weinen. Ich sage ihr: ''Hab keine Angst. Die helfen dir.'' Sie sitzt mir mit dem Rücken zugewandt und die Tränen kullern über ihr Gesicht.
Sie drehen die Frau um und sie sieht mich an und weint. Ich lächle und dann lächelt sie auch und auf einmal hebt sie die Hand zu einem kleinen Gruß und ich erhebe meine Hand auch und winke ihr und lächle. Ich glaube, dass sie in dem Moment realisiert hat, dass die Welt nicht immer nur scheiße ist und es auch nette Menschen gibt.

Wäre ich nicht so benebelt gewesen, hätte ich viel mehr mit ihr geredet und ich bin traurig darüber, dass ich nicht irgendetwas richtig Nettes sagen konnte.
Ich hätte sie am besten mit nach Hause nehmen sollen, ihr Kakao kochen, etwas zu essen machen und ihr ''Halt dich an deiner Liebe fest'' vorspielen. 

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